Rund 30 Minuten nahm sich Ungarns Kanzleramtsminister Gergely Gulyás, der anlässlich des Forums Mitteleuropa in Wien war, Zeit für den KURIER. Seine Antworten waren direkt, auf Linie, häufig mit dem Finger Richtung EU zeigend. Sein Lieblingsthema: was Brüssel alles falsch mache – vom Grenzschutz bis zur Corona-Politik.

 

KURIER: Die Corona-Situation in Ungarn ist derzeit schlechter als in Österreich: Nur 59,2 Prozent sind geimpft, am Freitag zählte man 8.370 Neuinfizierte, 116 Menschen Tote, 509 Patienten auf der Intensivstation. Österreich setzt auf Lockdowns für Ungeimpfte. Was macht Ungarn?

Gergely Gulyás: Wir haben eine Waffe gegen die Pandemie – die Impfung. Arbeitgeber können ihre Mitarbeiter verpflichten, sich impfen zu lassen. Auch der Staat ist Arbeitgeber, wir haben eine Vorbildfunktion und daher eine Impfpflicht für Parlamentsmitarbeiter eingeführt.

Nicht aber für Parlamentarier.

Das geht aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht. Wir erwarten aber in der Fidesz-Fraktion, dass sich alle impfen lassen. Ich bin es schon dreimal.

Die Regierung hat eine Obergrenze für Treibstoffpreise eingeführt – während in anderen EU-Ländern die Preise explodieren. Ist das ein vorgezogenes Wahlzuckerl anlässlich der Parlamentswahlen im Frühling 2022?

Die Senkung der Haushaltskosten ist seit jeher Teil der Regierungspolitik der Fidesz. Wir müssen die Inflation bekämpfen. Ihre größten Ursachen sind die steigenden Benzin- und Dieselpreise.

 

.. nachdem sie die Linken abgeschafft hatten.

Die Linken hatten sie auch eingeführt. Das sind alles sozialpolitische Maßnahmen. Betreibt die Fidesz Sozialpolitik?

Wir betrachten das nicht als Sozialpolitik, sondern als Wirtschaftspolitik. Wir sind keine Sozialdemokraten, wir sind Konservative. Wir unterstützen jene, die arbeiten. Und die, die eine Familie haben, noch viel mehr.

Wie will man diese Maßnahmen finanzieren?

Wir haben die Pandemie wirtschaftlich gut weggesteckt, wir haben in Wirtschaftswachstum von sieben Prozent in diesem Jahr.

Man spekuliert also nicht auf die Corona-Hilfen der EU?

Nein, das tun wir nicht. Wir schaffen das mit unserem Wirtschaftswachstum.

 

Im Frühling wird gewählt. Der Kandidat der Opposition, Péter Márki-Zay, war letztens in Brüssel zu Gast. Ist er eine Gefahr für Orbán?

Das ist eine innenpolitische Wahl, die muss man in Ungarn schlagen, nicht auf EU-Eben.

Ist er ein starker Gegner ?

Das müssen die Wähler beurteilen.

Letztens wurde bekannt, dass auch Ungarn die umstrittene israelische Spionage-Software Pegasus benutzt hat. Gegen wen wurde sie verwendet?

Darüber kann ich keine Informationen geben. Das ist ein Staatsgeheimnis, welche Technik die Behörden nutzen, um Informationen sammeln. Es gab jedenfalls keinen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Gesetze. Übrigens hat jeder Staat so eine geheime Informationssoftware. Ich habe gelesen, dass Deutschland mit Pegasus gearbeitet hat. Die westlichen Medien schreiben aber lieber schlecht über Ungarn als über andere Länder. Passen Sie auf, dass Sie nicht zu viel Gutes über Ungarn schreiben, sonst wird es gefährlich.

Wie steht Ungarn zum Flüchtlingsdrama an der EU-Grenze zu Belarus?

Wir unterstützen unsere polnischen Freunde. Ungarn war eines der ersten EU-Länder, das die Wichtigkeit des Grenzschutzes betont hat. Mit Blumen erreicht man wenig, es braucht Kraft. Die EU muss besser unterstützen.

Unterstützt Ungarn dann auch Polens illegale Pushbacks?

Was bedeutet illegale Pushbacks?

Das gewaltsame Zurückschlagen von Asylwerbern.

Grenzschutz ist eine europäische Pflicht. Wir müssen unsere Außengrenzen schützen, wenn wir innerhalb der EU eine Zone ohne Grenzen wollen. Wir haben eine mögliche, legale Weise, in ein Land zukommen: einen Asylantrag stellen. Alles andere ist rechtswidrig.

Orbán hat es aber so gut wie unmöglich gemacht, im EU-Land Ungarn um Asyl anzusuchen. Was soll jetzt passieren mit den Menschen an der Grenze zu Polen?

Sie können wieder zurückgehen. Nicht die ungarische Regierung, aber die EuGH hat dies so gut wie unmöglich gemacht.

Sie haben ebenfalls angekündigt, den Grenzschutz mit Freiwilligen zu verstärken. Gibt es dazu konkrete Pläne?

Wir haben derzeit 1.000 versuchte illegale Grenzübertritte pro Tag. Im ersten Schritt rechnen wir mit 200 zusätzlichen Kräften. Wir haben bereits einen Antrag an die Kommission gestellt, damit diese einen Teil davon bezahlt. Ebenfalls ausstehend sind noch die 1,5 Milliarden Euro für die Grenzschutzkosten wie für den Bau des Grenzzauns an der Grenze zu Serbien seit 2015.

 

Ungarn fordert sehr viel von der EU. Und gleichzeitig geht Ungarn gerne seinen eigenen Weg, etwa bei der Beschaffung russischer und chinesischer Impfstoffe.

Das liegt in unseren nationalen Befugnissen. Das hervorragende Wirtschaftswachstum erreichten wir damit, dass wir schneller geimpft haben. Deutschland und Österreich könnte das auch tun. Und zu den EU-Geldern: Jeder zahlt in den Topf ein, und soll auch etwas zurückbekommen. Das ist kein Geschenk. Das ist ein Business, der freie Markt. Wir müssen uns nicht bedanken für das Geld, das wir eingezahlt haben.

Wie ist das Verhältnis zwischen Ungarn und Deutschland?

Grundsätzlich freundlich.

Und zu Österreich?

Kennen Sie das Zitat von Otto von Habsburg, ein großer Fußballfan? Er fragte, was steht heute Abend am Programm? Die Antwort war, ein Fußballspiel, Österreich-Ungarn. Und er hat geantwortet: Gegen wen?